Es wurde geraucht und es wurde getrunken. Die Männer trugen Krawatte, die Frauen zeigten Dekolletee. Blicke kreuzten sich im Licht der Schreibtischlampen. Intrigen suchten ihr Ziel wie über Bande gespielte Billardkugeln und die Gerüchte schminkten sich im Kopierraum zu Gewissheiten. Wie überall, wo sich Erwachsene treffen, ging es um Sex und um Macht. Um Kränkungen und Ambitionen. Um Sein oder Nicht-Sein.
Bilder aus der wunderbaren, widerlichen Welt des Büros. Manche wirken seltsam aus der Welt gefallen, wie die Netflix-Serie Mad Man. Andere sind cool und stylish, wie die We-work-Offices oder die Facebook-Zentrale. Aber oft sind sie auch einfach nur verstaubt, wie vergessene Leitz-Ordner.
Es ist Zeit, Abschied zu nehmen.
Das Büro stirbt. Ein Kontinent versinkt. Der Lebensraum von 17 Millionen deutschen Angestellten steht zur Disposition. Und damit auch ihre Gewohnheiten und Gebräuche, lieb Gewonnenes und Lächerliches. Die zweite Heimat zwischen Kaffeemaschine und Kantine. Das Büroleben, wie wir es kennen, wird es bald nicht mehr geben.
Grabreden werden allerorts schon gehalten.
Christian Sewing, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank: „Wenn 60 Prozent der Kolleginnen und Kollegen weltweit ausserhalb des Büros arbeiten und unsere Bank trotzdem hervorragend für unsere Kunden da sein kann…brauchen wir dann noch so viel Büroraum in den teuren Metropolen?“
Laut einer Studie des Beratungsunternehmens Price Cooper Waterhouse plant ein Viertel der Finanzvorstände am Standort London drastische Flächenreduzierungen. Der angeschlagene Industrieriese Thyssen-Krupp will dreissig Prozent seiner Offices frei räumen.
Und Marc Zuckerberg verkündet, daß, in absehbarer Zeit, die Hälfte aller Facebook-Mitarbeiter von zu Hause aus arbeiten wird.
Der Abschied vom Büro vollzieht sich wie das Ende der Krawatte. Erst hat man sie gelockert, dann abgelegt und heute fragt man sich, warum man jemals eine getragen hat.
Binden wir die Krawatte also kurz noch mal um und blicken zurück in die goldene Ära des Büros.
Es ist der Innovations-Turbo aus Telegraphie, Eisenbahn und Elektrizität, der Anfang des 20. Jahrhunderts die Welt beschleunigt. Grösste Warenmengen können nun transportiert, ausgeliefert, verrechnet und erneut bestellt werden. Riesige Datenmengen müssen per Hand geordnet, sortiert, addiert und evaluiert werden. Aus der industriellen Revolution wird eine administrative Revolution. Die Schreibmaschinen des Waffenproduzenten Remington werden zum Fetisch des Aufbruchs und ein neues Wesen erblickt die Arbeitswelt: Es besteht aus zehn flinken Fingern, an denen der Büromensch hängt.
Von 1903 bis 1906 baut der Architekt Frank Lloyd Wright in Buffalo, New York, den Tempel seiner Zeit. Eine wegweisende Verwaltungsmaschine aus Stein. Vorbild vieler künftiger Bürogebäude. Wrights „Larkin Administration Building“ wird das Hauptquartier der Firma Larkin , die vom Seifenhersteller zum grössten Versandunternehmen der USA gewachsen war. Keine Flure, Keine Einzelbüros. Offene Gänge. Gläsernes Dach. Säle voller Arbeit und Schreibtische für 1800 Angestellte, akkurat aufgereiht wie Werkbänke. Eine Kaserne der Kontrolle. In die Wände gemeißelt Worte wie „Intelligence“ und „Enthusiasm“ . Über dem Eingang der
aufmunternde Spruch:„HonestLaborneedsnoMaster,simple Justice needs no slaves“.
Gleichzeitig, der Fortschritt ist ein Fuchs, wird die Schreibmaschine für Millionen junger Frauen, die als „Tippsen“ der Alternative Kinder- Küche-Kirche entkommen, zur Waffe der Emanzipation. Von 1907 bis 1925 verfünffacht sich der Frauenanteil in den deutschen Büros (während sich die Zahl der Angestellten insgesamt nur verdoppelte).
Im Prag der 20er Jahre baut der Tbc-kranke Versicherungsangestellte Franz Kafka die Seele des Büromenschen mit Buchstaben nach. Seinen Ekel vor der Monotonie der Schreibtischarbeit verwandelt er in die Leidensgeschichten von Romanfiguren, die eines Morgens rücklings als Käfer aufwachen oder sich – z.B. in den Romanen „Der Prozess“ oder „Das Schloss“ – in den monströsen Strukturen der Bürokratie verheddern.
Im Jahr 1956 gibt es in den USA zum ersten Mal mehr Angestellte als Arbeiter – das Büro hat die Fabrik besiegt, die Verwaltung die Produktion. Gleichzeitig verändert sich die Büro-Arbeit. Die einfachsten Tätigkeiten können nun automatisiert werden und somit verändert sich auch das Berufsbild des Angestellten. Neue Fähigkeiten sind gefordert: Organisationstalent. Einsparungspotentiale erkennen. Gewinnspannen ausdehnen.Vertriebswege optimieren. Werbestrategien entwickeln. Team-Building.Aus Schreibarbeit wird Kopfarbeit. Fast alle im Office sind nun mittleres Management. Mit der Erfindung des Intel-Mikrochips im Jahr 1970 setzt sanft die Digitalisierung ein.
Der Designer Robert L. Probst entwirft bereits in den 60er Jahren das „Action Office“ mit Stehpulten, Kreativitätsinseln,
und – damals revolutionär – Ruheplätzen für den 10-Minuten-Schlaf.
und auch wenn
„Das herkömmliche Büro“, analysiert der Architekt, „ist der tägliche Schauplatz unausgeführter Absichten und gescheiterter Anstrengungen“. „Demokratische Bürolandschaften“ sollten deshalb den Bedürfnissen des Angestellten gerecht werden.
1974 bauen Norman und Wendy Foster das Willis Building in Ipswich mit gläsernen Wänden Dachgarten und Swimming Pool für alle Angestellten. Die Architektur nimmt – noch offener, noch transparenter – die, sich verändernden, Hierarchien vorweg.
In den 90er Jahren überraschen Ettore Sottsass und Andrea Branzi mit Wohnbüros im Memphis-Style. Bunt, wild gemustert, poppig statt „amtsbeige“.Ahnen sie schon das,wir bald über „NewWork“ und mobiles Arbeiten sprechen werden?
In seinem Film „Beiing John Malkovich“ zeigt der Regisseur Spike Johns damals schon die Zukunft des Büros. Im
siebeneinhalbten Stock eines Bürohochhauses in Manhattan führt die Geheimtür hinter einem Panzerschrank – nicht etwa in versteckte Arbeitsräume , sondern direkt in die fantastischen Windungen des menschlichen Gehirns.
Seit der Jahrtausendwende zaubern die Silicon-Valley-Konzerne Wohnzimmermöbel, gesunde Snacks und sogar Fahrradwerkstätten in ihre Zentralen, die nun alle ein bisschen aussehen wie das Bällebad bei Ikea,undendgültigdokumentieren,dassdieTrennungvon Berufund Privatleben als aufgehoben betrachtet werden kann. Gleichzeitig etablieren sich weltweit Co-Working-Büros, wie jene von We work für Selbständige der Generation Start up.
Aus der Tippse im Schreibmaschinensaal ist die CoderIn im Social- Media-Campus geworden. Ein Jahrhundert nach Kafka liest sich Dave Eggers Silicon Valley-Roman „The Cercle“ als moderne Käfer- Karriere:
Die enthusiastische Angestellte Maebelline verstrickt sich in einem undurchdringbaren Gestrüpp aus Kontrolle, Motivation und Mobbing.
Auch wenn Individualismus und Authentizität von den HR- Abteilungen heute als erwünschte Mitarbeitereigenschaften beschrieben werden und Diversity den Konformismus der frühen Büromenschen ersetzt: Vertrieb und Verwaltung bleiben auch im 21. Jahrhundert die wichtigsten Büro-Tätigkeiten.
Nur braucht es dafür eben keinen festen Ort mehr. Alles, was ein Büro können muss, kann ein Smartphone auch.
Eine aktuelle FOCUS -Umfrage bei deutschen Unternehmen und Institutionen zeigt, wie reibungs- und klaglos die Verlagerung der Büroarbeit aus den Türmen der Konzerne in die Wohnviertel der Mittelschicht funktioniert.
Hier ein Querschnitt der Antworten, die meine Kollegin Maraike Mirau (in ihrem Home-Office) erhielt:
– Bei BMW Deutschland hatten schon vor dem Lockdown 36.000 Mitarbeiter die Möglichkeit im Homeoffice zu arbeiten genutzt. Corona-bedingt waren es dann lediglich 2000 mehr.
– Beim Stromanbieter E-on (38.000 Mitarbeiter, von denen im Lockdown nahezu 100% zu Hause arbeiteten) hätten
mehrere Bereiche hätten von gesteigerter Effizienz berichtet. Zwar vermissten manche Mitarbeiter den persönlichen Austausch im Büro, aber: „Die positiven Erfahrungen haben gezeigt, daß wir Home-Office künftig noch häufiger einsetzen können“.
– Bei der Bayer AG (ca. 25. 000 Mitarbeiter in Deutschland) arbeiten rund 12.000 Menschen seit Beginn der Pandemie von zu Hause aus. Man habe Home-Office mittlerweile auch in Bereichen etabliert, in denen dies eher ungewöhnlich sei, etwa in Laborabteilungen. Es gäbe keinerlei Anhaltspunkte für einen Rückgang der
Produktivität durch die vermehrte Heimarbeit. Nun plane man mit dem Betriebsrat „eine systematische Bewertung von mobilem Arbeiten um die Arbeitskultur weiterzuentwickeln“.
– Sehr ähnliche Antworten bekamen wir von Allianz, Beiersdorf, Daimler, Siemens, Banken und aus vielen Bundesministerien.Auch bei den R&V-Versicherungen arbeiten z.Zt. 90% der 11.000 Innendienstmitarbeiter von zu Hause aus.
– Und für die Deutsche Telekom, die schon 2016 mit Verdi einen Branchendienstvertrag für mobiles Arbeiten im Homeoffice abgeschlossen hat, formuliert Konzernsprecher Christian Schwolow eine klare Perspektive:
„Der Trend geht in Richtung „hybrides“ Arbeiten, eine Mischung aus Präsenz und Arbeiten außerhalb des klassischen Büro. Dazu gehört auch, über alternative Flächennutzungen nachzudenken. Der Wunsch nach vermehrten Mobile Working wird zu einem geringeren Bedarf an Standardarbeitsplätzen führen wird.“
Büro-to-go also.
Den Innenstädten öffnet der Bedeutungsverlust des stationären Büros eine historische Chance. Wo Flächen frei werden, kann neuer Wohnraum entstehen, wie derzeit schon auf dem ehemaligen Gelände der Deutschen Bank in Frankfurt. Dort wächst das Projekt „Four“ in den Himmel. In den vier geplanten Hochhäusern, bis zu 57 Stockwerke hoch, soll Arbeiten, Freizeit und – sozial durchmischtes – Wohnen stattfinden. Restaurants, Gyms, Entertainment, Büros und Appartements.
Die Stadt gewinnt urbane Kraft zurück. Millionen Büro-Angestellte werdenneueWegegehenund ersehnteFreiheitenkosten.Kollegen begegnen sich auf unbekanntem Terrain. Familien organiseren sich neu. Büroflirts vermissen sich. Konferenzen werden kürzer, Mittagspausenläden kreativer und der gute alte Machtkampf wird
sich neue Schlachtfelder suchen.
Es wird unübersichtlich. Es wird schrecklich. Es wird wunderbar.
„Being John Malkovich“ hat es uns einst schon vorgeführt: das abgefahrendste Büro liegt in unserem Kopf.