Geh, bitte!

Seit dem Ibiza-Video fühle ich mich wieder voll und ganz als Österreicher. Und weil die beste Position eines Österreichers, die auf der Psycho-Couch ist, werde ich jetzt einfach loserzählen. Mal sehen, ob das als Analyse taugt. 

Dreißig Jahre schon, seit 1989, habe ich meinen Wohnsitz in Deutschland. Ich verließ Österreich aus Furcht vor den Unmöglichkeiten, die ich damals in meiner Heimat sah. Nach Hamburg und München wohne ich jetzt in Berlin. Hier zu leben, ist angenehm, denn die Deutschen lieben unsere Sprache, von der sie auf die Seele schließen. Sie hören uns sprechen und denken an rauschende Wildbäche. Österreich bedeutet für sie Schönes und Angenehmes. Berge, Schnitzel und Schnapserl. Zwar kratzten Fritzl, die Kampusch-Entführung und Ulrich Seidls Kellernazi kurzfristig an unserem Image, aber der Ösi-Bonus blieb weitgehend erhalten. Auch wenn man gelegentlich als „Schluchtenscheißer“ diskriminiert wird, halten sich antiösterreichische Ressentiments  in Grenzen. Es kam nie zu Ausschreitungen. Im Gegenteil: Wir kriegten die Top-Jobs. Vom Ex-Siemens-Chef Peter Löscher bis Deutsche Bank-Zampano Paul Achleitner und VW-Boss Herbert Driess.

Zeitweise nahmen Österreicher Schlüssel-positionen in der deutschen Medien-Industrie ein. Ich z.B. war bis 2013 jahrelang Chefredakteur im Axel-Springer-Verlag. Einige deutsche Kollegen waren zwar tief gekränkt, dass ein Österreicher an der Spitze von Deutschlands größter Sonntagszeitung stand, aber sie erduldeten es mit preussischer Duldsamkeit. Ich versuchte mich unauffällig und so deutsch wie möglich zu verhalten. Nachrichten aus Österreich brachte ich sowieso nur im Spiegel der deutschen Rezeption. Ich interessierte mich kaum mehr für politische News aus Wien. Den Eurofighter-Skandal, die Bawag-Affaire und die ganzen Grasser-Swarovski-Sachen bekam ich nur mehr am Rande mit. Ich hatte mich weitgehend entheimatet.

Als Sebastian Kurz die politische Szene betrat, dachte ich erst an Smart Export. Viel Dampf und super Design. Bald aber spürte ich: die Deutschen waren schockverliebt. So charmant, so eloquent, so höflich, so kultiviert erschien ihnen der Mann. Lag es an seinem Österreichisch-sein?

In seiner Zeit als jüngster Außenminister der Welt, war es im hedonistischen Berlin das allerheißeste Ding vor der Party im Berghain auf eine Dinnerveranstaltung mit Kurz eingeladen zu werden und alle, die es auf die Gästeliste schafften, schwärmten danach von seiner Aufmerksamkeit, Authentizität und Zugewandtheit. Einer, der seinen H&M-Anzug eleganter trägt, als Schröder den Nadelstreif von Brioni. Einer, dessen Peter-Alexander-Augen jedem Gegenüber echtes Interesse versprechen. Einer, der sich deinen Namen merkt und später auch noch mit an die Bar kommt. 

Sebastian Kurz war damals der coolste Österreicher, den Deutschland seit Falco gesehen hatte. Die Erinnerung an die patscherten Talkshow-Auftritte von Frank Stronach war ebenso verflogen wie die notorische Häme über unsere Fussballperformance. Für meine liberalen Freunde war Kurz der junge Hipster mit dem federnden Schritt, der wie Macron und  Trudeau einen neuen Stil in die Politik einführte. Für die Konservativen war er eine Art schickerer Orban mit menschlichem Antlitz. Der Anti-Merkel, der die Balkanroute schließen ließ. Jedenfalls: Ein Mozart der Macht, der Seehofer, Scholz und Altmaier wie Provinzpolitiker aussehen ließ. 

Bald war er der unsichtbare Nebenvorsitzende der CDU. Die Sehnsuchtsgestalt all jener Werte-Herren, die die Union durch Angela Merkel nach links gerückt sahen, und, zumindest perspektivisch, Koalitionen mit einer AfD denkbar machen wollten. Sebastian Kurz , schrieb Jaques Schuster 2018 in der „Welt“, „ist der erste österreichische  Bundeskanzler überhaupt, der in Deutschland eine innenpolitische Größe ist und als Innen-politiker hierzulande Einfluss ausübt“. Alle, die sich diskret vom Merkel-Kurs distanzieren wollen, suchten nun die Nähe des Österreichers: Gesundheitsminister Jens Spahn ebenso wie der sprunghafte Markus Söder aus Bayern ( jedenfalls bis er den Grenzschutz durch Bienenschutz ersetzte).  Jüngst erst war es der AfD-gebeutelte sächsische CDU-Frontmann Michael Kretschmer. Er engagierte für seinen, letztendlich siegreichen, Wahlkampf die  Werbeagentur Campaigning Bureau des Kurz-Vertrauten Philipp Maderthaner. 

Möglicherweise, das wird mir jetzt erst bewusst, war es der Hype um Kurz und die damit verbundene erhöhte Präsenz des Österreichischen im öffentlichen Raum der Bundesrepublik, der dazu führte, dass ich begann, meine Herkunft wieder stärker zu betonen und in Gesprächen mit deutschen Freunden und Kollegen vermehrt Austrozismen einbaute, etwa ein  „ur-„  vors Adjektiv setzte. Und ich habe dann auch uroft  „Geh, bitte!“ gesagt. Das „Geh, bitte!“ ist ja das „Inshallah“ des Österreichers.

Das kam meistens gut an. Wenn ich in einer Diskussion mit deutschen Kollegen nicht weiter wusste,  ließ ich ein leicht arrogantes Yung Hurn-Wienerisch über meine Argumente flattern wie eine frischgebügelte rotweissrote-Fahne. Dann hielten sie mich kurzfristig für einen im Cafehaus habilitierten Intellektuellen.

Der Nuancenreichtum des Wienerischen fasziniert und irritiert die Deutschen gleichermaßen. Sie schätzen Klartext, wir aber sprechen Unklartext. Der Strom unserer Worte hat Untiefen. Wenn erst Klang und Betonung dem Gesagten seine Bedeutung verleihen, wie soll man dann Wahrheit von Halbwahrheit und Halbwahrheit von Vollverarsche unterscheiden? 

„Bist deppat, is die schoaf!“ Als Mitte Mai das Ibiza-Video in unser Leben knallte, bestätigte es das tradierte Österreich-Bild der Deutschen: schöne Landschaft, schwache Menschen. Ich konnte es mir nicht oft genug anschauen. Vermutlich hat jede Gesellschaft ein ziemlich ähnlich hohes Korruptionspotential. Den Phänotypus Strache kann man sich in allen Ländern und politischen Formationen vorstellen, von den dänischen Sozialdemokraten bis zu den tunesischen Ennadha-Islamisten. Aber die  Ibiza-Show – das waren meine Sprache, meine Kultur, meine Hybris, meine Abgründe. Ich sah HC und Joschi und die Fake-Oligarchin mit den ungepflegten Fussnägeln und ich sah das Österreich, dem ich mich vor dreißig Jahren entzogen habe.  Urabstossend, aber auch urvertraut. 

Seit Ibiza konsumiere ich wieder regelmäßig österreichische Medien, schaue täglich die von 3Sat übertragene ZIB 2, und freue mich über die präzisen Interviews und Anzüge von Armin Wolf. Es kommt ja auch auf den Style an. Ich genieße aber auf seltsame Weise auch „Fellner live“ (Pardon, „Fellner!live“,  jetzt hätte ich beinahe das Rufzeichen vergessen!) . „Fellner!live“ ist ja so etwas wie die permanente Fortsetzung des Ibiza-Videos ohne Korruptionsanbahnung und schoafe Russin. Eine unheimliche Aufzeichnung österreichischer Redekultur. Wenn Cap gegen Westenthaler clincht oder Philippa ins Herz von HC blicken lässt, wird Politik kenntlich als Schmäh auf Kosten des anderen. 

Das Alleinstellungsmerkmal von Sebastian Kurz ist, dass er sich dieser Beredtheit bis zur Langeweile verweigert. „Message Control“ ist das Steuerungssystem zum Umschiffen der Untiefen unserer Sprache.

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